Demokratie stirbt wächst von unten!

Vortrag am 8. Nov. 2021 im Kloster St. Claren Weißenfels

Dieser Vortrag wurde im Rahmen der 30. Landesliteraturtage Sachsen-Anhalt anlässlich der Vorstellung der Broschüre des Burgenlandkreises zur Friedlichen Revolution gehalten

„Liebe Friedensfreunde, liebe Freundinnen der Demokratie!“

…mit diesen Worten habe ich am 25. Oktober 1989 das „Friedensgebet zur gesellschaftlichen Erneuerung“ in der Weißenfelser Marienkirche eröffnet. Ich meine, die Aktualität dieser Anrede hat sich bis heute nicht geändert. Damals schon war nicht der Weltfrieden gemeint, sondern der Frieden in unserer Stadt und unserer Region. Und damals schon war eine Demokratie gemeint, die noch gar nicht da war, aber unser aller Hoffnung. Jedenfalls von den immerhin 1000 Leuten, die sich an diesem Tag in der Stadtkirche versammelt hatten.

Sie merken, ich bin beim Titel unserer heutigen Veranstaltung. Da ist dem Vorbereitungsteam selbstverständlich kein Schreibfehler unterlaufen, sondern in diesem Aufruf „Demokratie stirbt wächst von unten!“ sollte schon mal der inhaltliche Kern unserer Zusammenkunft formuliert sein: Die Erfahrung, dass Demokratie sterben aber auch wachsen kann, haben wir im 20. Jahrhundert gemacht und wir machen sie immer noch: Demokratie ist nicht einfach da. Sie kann ganz einfach wieder abgeschafft werden. Das haben die Nazis im sogenannten Dritten Reich hingekriegt und die Kommunisten in der DDR auf ihre Weise ebenfalls. Und die Populisten heute arbeiten genauso dran.

Aber Demokratie kann wachsen. Sogar in Dikta­turen. Auch diese Erfahrung haben wir gemacht und seit 1989 wissen wir: Wenn sie wächst, dann wächst sie von unten.

Heute allerdings sehen wir, dass die Demokratie auch von unten sterben kann. Wenn sich nämlich Frust gegenüber den parlamentarischen Strukturen ausbreitet und viele Menschen das Gefühl haben, unsere Belange, unsere Interessen, ja unsere Nöte werden von denen, die wir gewählt haben, gar nicht mehr gehört.

So hat die Wochenzeitschrift die ZEIT schon vor 5 Jahren getitelt: „Der Kampf um die Demokratie hat begonnen!“. (In Klammern sei bemerkt, dass man an dieser Überschrift auch sieht, es handelt sich hier immer noch um eine Westdeutsche Zeitung, denn wir sind im Osten Deutschlands seit 1989 dabei, das katastrophale Erbe der SED Diktatur mit demo­kra­tischen Mitteln zu überwinden.)

In der friedlichen Revolution und in den Folge­monaten des Jahres 1990 waren es eben nicht die Privilegierten und Herrschenden, die hier die Demo­kratie eingeführt hätten. Das waren die, die den Mut hatten, in einem religionsfeindlichen Staat in die Kirchen zu gehen und anschließend friedlich für die Demo­kratie zu demonstrieren. „Demo­kratie — jetzt oder nie!“ hieß die Losung.

Genau diese Menschen haben auch bei uns Runde Tische gebildet. Wer das miterlebt hat, wird sich noch erinnern, dass dort alle auf Augenhöhe am Tisch gesessen und miteinander gesprochen haben. Da spielte es keine Rolle, ob jemand schon unter Dik­tatur­be­dingung­en Politik gemacht hat oder völlig neu in diesem Metier war. Jede und jeder war wichtig, egal ob Ärztin oder Lehrer, Kombinats­direktor oder Dreher, Pfarrer oder Kindergärtnerin.

Wir alle waren begeistert, von den Möglichkeiten, die sich jetzt Schritt für Schritt eröffneten, unser Leben selbst zu gestalten. Wir konnten uns beteiligen und erlebten, dass unsere Vorstellungen Wirklichkeit wurden, wenn wir uns darauf geeinigt hatten.

Und wie viele haben sich beteiligt. Überall in den 5 Land­kreisen, die heute den Burgen­land­kreis bilden, gab es reichlich Menschen, die in den ver­schiedens­ten Arbeit­sgruppen mit­machten, die die Beschlüsse des Rundentisches vorbereiteten und danach um­setzen wollten. Genau das kann man in unserer Broschüre nachlesen.

Für mich ist das die Zauber­formel der Demokratie: Wir hatten eine Vision von einer mensch­lichen, lebens­werten Gesell­schaft, wir haben erlebt, dass wir uns an deren Gestaltung beteiligen konnten. Daraus ist eine Begeisterung erwachsen, mit der sich tat­sächlich in (historisch gesehen) allerkürzester Frist eine für viele als geradezu bleiern empfundene Zeit in eine dynamische Zukunft verwandelte, die ihre politischen Zielpunkte in drei demokratischen Wahlen hatte: der Volkskammerwahl im März, der Kommunalwahl im Mai und der Bundestagswahl im Dezember 1990.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste, möglicherweise fürchten sie jetzt schon eine Weile, dass ich heute eine Lobrede über die letzten 30 Jahre halten will. Keine Sorge, das wird nicht geschehen. Ich erinnere mich natürlich genau, dass spätestens nach den Dezember-Wahlen 1990 die Mühen der Ebene begannen.

Wir haben alle noch die Vision von Helmut Kohl im Ohr, der uns „blühende Landschaften“ schon für die allernächste Zukunft versprochen hatte. Er hätte sich wohl mal mit einem Gärtner unterhalten sollen, der hätte ihn nämlich gesagt, wie viel Geduld man bei der Gartenarbeit mitbringen muss. Alles braucht lange und keineswegs alles wird auch was.

Das haben wir hier im Burgenlandkreis auch erfahren müssen. Schon die Bildung des Landkreises war nicht einfach: Was die Kreisgrenzen anbetraf, den Sitz des Landratsamtes und den Namen. Möglicherweise haben die damals in die politische Verantwortung gewählten Kommunalpolitiker da schon nicht mehr ausreichend die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger gesucht und die Be­geister­ung hielt sich in engen Grenzen.

(Auch hier noch einmal eine Anmerkung in Klam­mern: 2007 habe ich eine zwar nicht re­präsen­tative aber doch zahlen­mäßig um­fang­reiche Um­frage gemacht. Ergebnis: die große Mehrheit war für die Umbenennung des Landkreises in Saale-Unstrut-Kreis. Der damals neu gewählte Kreistag hat sich dann anders entschieden.)

Dennoch haben wir vieles richtig gemacht. Naum­burg hat sich als Kultur und Tourismusstadt gut ent­wickelt (der Dom ist Weltkulturerbe geworden), Weißenfels ist inzwischen geradezu ein Steuer-Einnahme-Paradies, nur in Zeitz ging die Entwicklung sehr mühsam voran. Vor allem aber das, was wir den ländlichen Raum nennen, kann sich bei uns sehen lassen. Und alle zusammen sind wir Teil der Metro­polregion Mittel­deutsch­land geworden, was uns die Zu­sammen­arbeit mit den kom­munalen Nachbarn, vor allem mit Halle, Leipzig und Jena sehr er­leichtert. Rein äußerlich, auch wenn man die Ent­wicklung und Qualität der Arbeits­plätze betrachtet, lässt es sich im Burgen­land­kreis gut leben. Eine gute Bilanz, auf jeden Fall im Maßstab der nun nicht mehr ganz so neuen Bundes­länder.

Da stellt sich die Frage, warum das Lebens­gefühl vieler unserer Einwohner dieser guten Bilanz so gar nicht entspricht. Wahr­scheinlich gibt es darüber keine Statistik, aber wer — wie ich — Gelegenheit hat, mit den Leuten abseits von offiziellen Zu­sammen­künften, Gremien oder Institutionen zu sprechen, hört jedenfalls viele Klagen und Frust.

Wer‘s nicht glaubt, der braucht sich bloß die Ergebnisse der letzten Wahlen anzuschauen Damit meine ich nicht nur die Bundestagswahl. Die Un­zu­frieden­heit hat meines Erachtens nach viel mehr Prozente, als es diesem schönen Landstrich hier angemessen wäre.

Deshalb will ich auch nicht den Frust verstärken, sondern einige Beispiele nennen, die mir zeigen, wie persönliches Engagement, Begeisterung und eine Vision nicht nur individuelle Zufriedenheit bewirken, sondern auch ganz konkret zu Ergebnissen führen, die sichtbar, anfassbar, ja begehbar sind und uns Landkreisbewohnern insgesamt zugute kommen.

Mir sind sofort ein Dutzend Beispiele eingefallen, drei will ich kurz benennen, die zwar in unserer Broschüre über die Friedliche Revolution noch keine Rolle spielen, im hier Raum sicherlich allen gut bekannt sind.

Jeden Monat fahre ich mindestens zweimal mit der Bahn durch das Saaletal und sehe immer wieder erfreut, wie das Schloss Goseck am Südhang der Weinberge aufleuchtet, so dass seine lebendige Ausstrahlung schon des Öfteren meine Nachbarn bewegt hat zu fragen, was das dort denn sei. Die Antwort ist einfach. Dort gibt es Leute, die sich seit 1990 einer Ruine angenommen haben, deren großartiges Potenzial sie frühzeitig erkannt haben und inzwischen dort ein einzigartiges Areal haben entstehen lassen, mit eigener Prägung und Wirkung. Einem Namen will ich in diesem Zusammenhang nennen: Das ist Sebastian Pank, der als erster die Vision hatte, dort ein kulturelles Zentrum einzurichten, das Menschen nicht nur aus ganz Mitteldeutschland anzieht.

Ein Ort, an dem ich leider nicht so häufig vorbeikomme, aber der es umso mehr verdient, genannt zu werden, ist das Kloster Posa bei Zeitz. Die Burgen „an der Saale hellen Strande“ kennt ja irgendwie jeder, der im Musikunterricht der Grund­schule nicht völlig geschlafen hat. Aber das es bei Zeitz ein Kloster mit einer jahr­hunderte­langen Wein­bau­tradition gegeben hat, das hat mir selbst in meiner Weißenfelser Zeit niemand sagen können. Da musste erst jemand wie Norbert Hörig mit seiner Frau Brigitta kommen, um diesen wunderbaren Ort wieder ins allgemeine Bewusstsein zu bringen und zwar nicht durch bloße Anschauung, sondern dadurch, dass er den Weinberg wiederbelebt hat. Er selbst lebt nun nicht mehr, aber er hat engagierte Nachfolger und sein Werk lebt weiter bleibt ein lebenswerter Ort.

Ja und nun mögen Sie schon ahnen, was mein drittes Beispiel ist. Das kann ja nur der Ort sein, an dem wir uns jetzt befinden. Wie gewinnt man Zukunft für ein ehemaliges Volkspolizeikreisamt? Ganz einfach, indem es auch in diesem Fall Menschen gibt, die einen weiten Blick und einen langen Atem haben. Die sehen, dass zuvor hier über Jahrhunderte eine hochqualifizierte Bildungsstätte ihr Zuhause hatte und davor ein Kloster, mit Klarissen, die die Gründung ihrer Gemeinschaft immerhin auf Franz von Assisi zurückführen. Einen der wenigen Heiligen, die auch heute noch im allgemeinen Bewusstsein sind.

Als 2011 der Kloster­verein gegründet wurde, haben viele Weißenfelser nur müde gelächelt. Wo sollte denn die Idee herkommen und wo vor allem das Geld, aus diesem heruntergekommenen Gebäude­komplex irgendetwas zu machen. Schließlich war das bis dahin auch mit dem Weißenfelser Schloss nicht gelungen.

Aber es braucht eben Menschen, die eben eine Vision haben und denen sich die Möglichkeit eröffnet, sich zu engagieren, also sich zu beteiligen. Auch hier will ich nur einen Namen nennen, stell­vertretend für viele. Das ist der meines Namens­vetter Lothar Schützenmeister. Einer, der bis zu seinem Tod nicht daran gezweifelt hat, dass in dieses herrliche Gebäude wieder Leben einzieht. Und er wird Recht behalten.

Über Hotel, Restaurant, Tagungs­stätte ist nach­gedacht worden. Im Zusammen­hang mit der Weißen­felser Musiker-Tradition hätte hier ein Chor­heim entstehen sollen. Und nun — vor allem auf letzterem aufbauend — entsteht hier ein Bild­ungs­kampus, der — als Gymnasium zusammen mit Musik- und Volkshochschule — seinen Namen auch verdient.

Nun mögen Sie denken, jetzt ist er aber weit von seinem und dem Thema der Landesliteraturtage abgekommen. Weit gefehlt! In solchen Aktivitäten verwirklicht sich für mich Demokratie, auf für jeden nachvollziehbare und gern auch nachahmbare Weise. Demokratie ist eben nicht nur, alle paar Jahre mal an die Wahlurne zu gehen. Immerhin, ich würde mir wünschen, das täten viel mehr Bürger dieses Landkreises und dieses Landes.

Demokratie ist Beteiligung. Demokratie braucht Begeisterung. Und Begeisterung braucht eine Vision. Das alles finde ich in diesen drei genannten Beispielen.

Gut, mögen Sie sagen das sind aber Einzel­bei­spiele. Ich antworte: Beispiele sind immer einzeln. Für eine Kommune, für einen Landkreis gilt es, diese Beispiele voranzustellen und zusammenzuführen. Glauben Sie nicht, dass ein Landkreis keine Vision hätte. Wenn sie mal im Internet auf die Homepage des Burgenlandkreises schauen, werden sie ein Leitbild finden und das beginnt mit einer Vision, die sogar so benannt wird. Sie lautet „ein moderner Landkreis mit starker Identität, großer an An­ziehungs­kraft und hohem Vernetzungsgrad.“

Diese drei Eigenschaften treffen auf Goseck, Kloster Posa und auf unseren Veranstaltungsort zu. Das ist gut. Noch besser ist es, dass die Autoren des Leitbildes augenscheinlich auch wissen, wie es dazu kommen kann. In der Einleitung des Leitbildes heißt es nämlich: „Das Leitbild ist in jeder Wahlperiode durch den Kreistag zu aktualisieren und bei Bedarf in einem basisdemokratischen Prozess fortzuschreiben.“ Ich bin überzeugt davon, dass dieser Bedarf ständig da ist. Dass unsere gewählten Kommunalpolitiker und alle die im Landkreis (und darüber hinaus) Ver­antwort­ung tragen, den basis­demo­kratischen Pro­zess am Laufen zu halten und auch die ein­zu­beziehen, die von sich aus nicht ein solches Engagement wie Pank, Hörig und Schützen­meister aufbringen können. Deren gute Beispiele aber sollten nicht in Vergessenheit geraten. Dafür müssen wir alle sorgen und schön, dass dabei sogar die „dritte Generation Ost“ mitmacht, wie z.B. unsere Schüler­innen vom Hohen­mölsener Gymnasium, die ihren Teil zum Gelingen der Broschüre beigetragen haben.

Zum Schluss fange ich gleich damit an: Das wissen­schaftliche Fundament für das Bildungs­kampus an diesem historischen Ort des „Gymnasium Illustre Augusteum“ hat nämlich einer gelegt, der leider heute auch nicht mehr unter uns weilt: Dr. Otto Klein. In ihm verbindet sich nun für mich alles, von der Erinnerung an 1989, dem Inhalt unserer Broschüre bis hin zur Zukunft dieses Gebäudes. Otto Klein war bereits in den Friedensgebeten des Re­volutions­herbstes aktiv und am Weißenfelser Runden Tisch. Danach hat er sich in vielfältiger Weise in der Kommunalpolitik und ehrenamtlich in Stadt und Landkreis engagiert. Er hat wichtige Sachbücher geschrieben, das wichtigste aber ist für mich das große Werk über die große Tradition dieses Hauses. Die beiden Bände hat er mir gemeinsam mit Manfred Rauner vor 3 Jahren geschenkt. Ich würde mich freuen, wenn ein besonderer Raum des künftigen Bildungskampus seinen Namen trägt.

Vielen Dank!