Frieden, Zukunft und Hoffnung

Manifest der Naumburger Menschenrechtsgruppe vom 1. Mai 1977

Jeremia 29, 11

Denn ich weiss wohl,
Was ich für gedanken über euch habe,
Spricht der herr:
Gedanken des friedens und
Nicht des leids,
So dass ich euch gebe
Zukunft und hoffnung.

Mit Verhaftung werden für uns neue Aktivitäten notwendig. Wir stehen vor der Aufgabe, erstens ein möglichstes für Günther selbst zu tun, indem wir einen engen persönlichen Kontakt mit seiner Mutter halten, ihr bei der Korrespondenz mit den Behörden halfen und sie zu Gesprächen mit Rechtsanwälten und Kirchenvertretern begleiten. In diesem Bereich wird es in der nächsten Zeit noch einiges zu tun geben für Tautz, Behrend und Radeke, deren persönlicher Kontakt mit Frau Schau nicht so leicht durch andere ersetzt werden kann. Zweitens ist es nötig, Günthers Arbeit fortzusetzen und wenn möglich zu erweitern. Das ist nicht leicht bei einer Person, die mit so ungeheurem Einsatz und so viel Energie die Dinge betrieben hat.

Wir müssen uns die Arbeit teilen und werden, um das Begonnene sinnvoll fortzusetzen, andere Arbeitsmethoden nötig haben. Viel Zeit und Geld verschlangen die Fahrten, die nötig waren, um Kontakte herzustellen zu den Gruppen, die von Verhaftungen, Verhören, Haus[durch]suchungen, heimlicher Bewachung und Kündigung betroffen waren. Ein solcher Kontakt und eine gewisse Koordination oder Information zwischen den einzelnen Gruppen in der DDR erwies sich als nötig, um einer Vereinzelung entgegen zu wirken, die Unsicherheit und Angst mitbringt und die Betroffenen unfähig macht, rechtswidrigen Angriffen und Einschüchterungsversuchen angemessen zu begegnen. Dabei lag es uns jedoch immer vollkommen fern, auch nur in irgendeiner Weise konspirativ tätig zu werden. Auch für uns brachte dieser weitverzweigte Informationsaustausch wertvolle Erkenntnisse, auf die wir uns in manchen Fällen stützen können. Es wäre wichtig, daß solche Erfahrungen mehr Allgemeingut werden könnten, so daß nicht jeder, der sich neu in die Situation gestellt sieht, hier an irgendeiner Stelle helfen zu müssen, sie unter unnötigen Schwierigkeiten und Gefahren allein von Anfang an machen muß.

Schließlich diente das Sammeln dieser Informationen der Berichtigung und Vervollständigung der Dokumentationen, die Schau geschrieben hat, so daß wir die vorliegende Zusammenfassung erbringen konnten. Das Ziel solchen Berichtes soll es sein, zu verhindern, daß ein stummer und stumm machender Terror Menschen, die verantwortlich und unter Einsatz ihrer Sicherheit und Freiheit das dringend Notwendige und gute Hilfe tun, oder auch solche, die nur einfach frei ihre Meinung sagen, von der Oberfläche verschwinden läßt, ohne daß es an dieser Oberfläche registriert wird.

Um dieser Aufgabe in Zukunft besser gerecht zu werden, wird es nötig sein, umfassendere Kontakte zu halten, so daß bei neuen Verhaftungen die Angaben zur Person und Umstände der Verhaftung schon bekannt sind und nicht erst unter großem Aufwand von einigen wenigen, die allein alles betreiben, in Erfahrung gebracht werden müssen. Hier kann die Kirche mehr tun als einzelne und sollte nicht, wie bisher oft geschehen, an dieser Stelle Entscheidendes versäumen. Ein Oberkirchenrat vom Landeskirchenamt Dresden äußerte uns gegenüber in einem Gespräch, daß, wenn irgendwo jemand verhaftet würde, am nächsten Tag der Gemeindepfarrer vor der Tür stehen müsse. In diesem Sinn verstehen wir auch, was im „Memorandum an den Generalsekretär des ÖRK vom Kolloquium über die Rolle der Kirchen bei der Anwendung der Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Montreux, Schweiz, den 24. – 28. Juli 1976“, das in den Amtsblättern der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen vom 20.01. und 23.02.77 veröffentlicht wurde, gesagt ist:

„18. Die Kirchen haben gleichzeitig aber auch ganz besondere Chancen, die ihnen anvertrauten Aufgaben zu erfüllen. Durch die Mitgliedskirchen haben wir im Rahmen der ökumenischen Bewegung Zugang zu Tausenden von Ortsgemeinden und können uns glücklich schätzen, daß uns damit die Möglichkeit gegeben ist, alle notwendigen Informationen und Voraussetzungen für die Verbesserung der Menschenrechtssituation zu verbreiten und allgemein bekannt zu geben. Die ökumenische Bewegung gibt uns ferner Gelegenheit, Menschen überall in der Welt für die gemeinsame Sache zu mobilisieren und über die einzelnen Gemeinden und Gemeindemitglieder einen moralischen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, der nicht dadurch weniger wirksam wird, daß er in vielen Fällen unsichtbar bleibt.“

Es muß unser Ziel sein, auf diese Weise eine Massenwirksamkeit zu erreichen, die der staatlichen Willkür ein umfassendes Verantwortungsbewußtsein und Aufmerksamkeit entgegensetzt. Das Volk soll prüfen anstatt zu gehorchen und der Befehls– und Verdummungsmaschinerie durch Selbständigkeit und Selbstbewußtsein die Grundlage zu entziehen.

Es wird also nicht ohne politisches Engagement abgehen.

„Memorandum“ etc. am angegebenen Ort:

Eine Beratungsgruppe für Fragen des Menschenrechts „soll … kirchliche Amtsträger und die einzelnen Christen in ihrer schwierigen Aufgabe stärken und ihnen helfen, ihre prophetische Rolle angesichts des Mißbrauchs der Macht und der unmenschlichen Praktiken in ihren Kirchen, in Staat und Gesellschaft gewissenhaft wahrzunehmen.“ Und „in Fällen, wo die Menschenrechte mißachtet oder verletzt werden, die Vorschriften der staatlichen Gesetzgebung oder damit begründete Maßnahmen eingehend untersuchen“.

aaO.:

„Zur Religionsfreiheit muß auch das Recht und die Pflicht der religiösen Institutionen gehören, die herrschenden Mächte, wo dies notwendig ist, im Einklang mit ihren religiösen Überzeugungen zu kritisieren.“

aaO.:

„Die Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen, wo immer diese als objektiver Tatbestand aufgedeckt worden sind, ist für die Kirche eine Pflicht und sollte nicht mit ungerechtfertigter Einmischung verwechselt werden.“

Auch bei unserer Arbeit zeigte sich, daß persönliche Hilfe und politische Kritik notwendig in eins fallen.

aaO.:

„Die Kirchen werden unweigerlich in die sozialen, politischen und kulturellen Auseinandersetzungen der Gegenwart mit hineingezogen.“

Durch mangelnde Konsequenz und Bereitschaft zum Handeln hat sich die Kirche bisher weithin einer Vernachlässigung dieser Frage schuldig gemacht und sich ins gesellschaftliche Abseits drängen lassen.

Ähnliches gilt zum großen Teil von dem Verhalten gegenüber der Masse von Bürgern, die durch einen Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR (der nach dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung straf– und strafverfahrensrechtlicher Bestimmungen [2. Strafrechtsänderungsgesetz] vom 07. April 1977 strafrechtlich verfolgt werden kann), arbeitslos geworden sind oder unter Schwierigkeiten am Arbeitsplatz leiden und deren Leben in zunehmenden Maße von Depressionen und Resignation geprägt ist.

Man hört in vielen Fällen von der Diskriminierung solcher Bürger auch im kirchlichen Bereich. Wenn wir bewußt hierbleiben und nicht fortgehen, können wir daraus doch nicht eine Verurteilung derer ableiten, die das nicht wollen und vom allerselbstverständlichsten Menschenrecht, sich frei bewegen zu können, Gebrauch machen möchten. Wo irgend möglich, sollte die Kirche freie Arbeitsplätze für diese Arbeitslosen haben, auch wenn zu erwarten ist, daß sie bald wieder kündigen werden. Auch hier hat die Kirche einzigartige Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung.

Eine weitere Chance liegt in einer weitgehenden Unantastbarkeit kirchlicher Mitarbeiter durch staatliche Stellen. Obgleich wir allen Grund haben, anzunehmen, daß man durch heimliche Beobachtung und quasioffener Beschattung mit dem Ziel, uns zu verängstigen, sich unserer annimmt, sind wir doch bisher weder verhört noch sonst irgendwie gewaltsam belästigt worden. Es wäre deshalb eine sträfliche Unterlassung, würden wir nicht die uns gegebenen Freiheiten so umfassend als möglich wahrnehmen. Nur so wird es möglich, daß wir in der DDR mit unseren besonderen Schwierigkeiten alleine fertig werden, ohne auf Hilfe von außen angewiesen zu sein.